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20. Juli 2023
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Axel Kölschbach Ortego

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Geldbrief

Ein resilienter Boom: Spaniens Energiewende

Lesedauer: 9 min
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Axel Kölschbach

In Berlin haben letzte Woche die Sommerferien begonnen. Auch der Geldbrief verabschiedet sich nächste Woche in die Sommerpause. Doch vorher richtet sich unser Blick nach Spanien, das seit Wochen unter einer Hitzewelle leidet, und wo diesen Sonntag Wahlen anstehen. Unser Fokus: der Ausbau der erneuerbaren Energien und die kluge Förderung der vom Kohleausstieg betroffenen Regionen.

Diesen Sonntag sind Wahlen in Spanien. Es steht viel auf dem Spiel. Ministerpräsident Sánchez, bei Amtsantritt die Hoffnung der europäischen Sozialdemokratie, droht gegen eine Koalition aus der konservativen Partido Popular und der nationalistischen, rechtsextremen Partei VOX zu verlieren — obwohl Inflation und Arbeitslosigkeit gering sind und der Mindestlohn gesteigert wurde. Doch in diesem Geldbrief wollen wir nicht die Wahl selbst kommentieren, sondern berichten, warum die spanische Energiewende diese Wahl unabhängig vom Ergebnis gut überstehen sollte.

Der erste Solarboom endete durch Austerität. Der zweite wird getrieben durch die Privatwirtschaft

Ein guter Einstiegspunkt ist der Ausbau der Solarenergie in Spanien. Dieser hat bisher zwei Wellen gesehen: Ab 2007 gab es einen ersten Solarboom, initiiert durch ein Förderprogramm, welches Solarstrom für 44ct/kWh abnahm, das Zehnfache des damaligen Marktpreises. Hektarweise wurden Agrarflächen zu Solarfeldern transformiert, statt der geplanten 400 Megawatt in vier Jahren wurden 3.500 installiert.

Da die fiskalischen Kosten stark anstiegen, wurden die Subventionen ab 2010 sogar rückwirkend reduziert, sprich auch für bereits installierte Anlagen, lange vor Ende der geplanten Laufzeit von 25 Jahren. Schließlich wurde das Programm ohne adäquaten Ersatz eingestellt, unter anderem weil EU, EZB und IWF Spanien in der Eurokrise ein strenges Sparprogramm verordneten. Der erneuerbare Sektor geriet in den freien Fall und wanderte ab. Hoch verschuldete Landwirte[1] klagten auf Schadensersatz. Das Ergebnis war, dass in einem der sonnigsten Länder Europas bis 2018 weniger als 5% des Stroms aus Solarenergie kamen. Der abrupte Stopp der Subventionen führte zu einem großen Vertrauensverlust der Privatwirtschaft in Energiesubventionen durch den spanischen Staat, der teilweise bis heute anhält.

Als Sánchez 2018 die Regierung übernahm, benannte er die ökologische Transformation zur Regierungspriorität. Der Ausbau der erneuerbaren Energien gewann wieder an Fahrt: Die Solarkapazität hat sich seit 2018 fast verfünffacht und beträgt aktuell 22 GW, die Windkapazität wurde seitdem um 30% ausgebaut und beträgt 30 GW (siehe Abbildung 1).[2] Dieses Jahr wird Spanien das erste große europäische Land sein, welches über die Hälfte seines Stroms aus Erneuerbaren generiert. Dazu kommen noch etwa 20% aus Atomkraft, sodass sich der CO2-Fußabdruck der spanischen Stromproduktion mit dem französischen, vom Atomstrom dominierten Strommix messen kann. Spanien wird seine Dekarbonisierungsziele im Stromsektor wesentlich früher als geplant erreichen.[3]

Abbildung 1

Neben den fünf großen spanischen Energiekonzernen installieren nun auch immer mehr Eigenheimbesitzende Photovoltaik auf ihren Dächern: Die für den Eigenverbrauch installierte Neukapazität stieg im Jahr 2022 um 108%. Diese Investitionen sollen sich in 3-6 Jahren bereits amortisieren, der Flaschenhals sind nun die Zulassungsverfahren. 

Woher kommt dieser neue Boom?

Erstens: Wegen stark gesunkener Errichtungskosten[4] und des hohen Strompreises[5] erreichten Solarenergieprojekte aufs Jahr gerechnete Renditen von bis zu 22%. Zweitens hat die Sánchez-Regierung entscheidende administrative Hürden für den Eigenverbrauch abgebaut. Drittens sind die hochqualifizierten Fachkräfte aus dem ersten Solarboom zurückgekehrt.

Außerdem ist Spanien Vorreiter beim Einsatz der sogenannten „Power Purchasing Agreements“ (PPAs). Das sind Verträge zwischen Stromerzeugern und Abnehmern (in Spanien zumeist industrielle Großverbraucher), in denen der Abnahmepreis für eine Dauer von 12 bis 15 Jahre festgeschrieben ist und im Gegensatz zur festen Einspeisevergütung keine staatlichen Garantien benötigen. PPAs haben nun auch in Deutschland Fuß gefasst, da die EEG-Einspeisevergütung an Attraktivität verliert und Off-Shore-Windanbieter zuverlässige Abnehmer suchen.

Das Gelingen der spanischen Energiewende ist auch für Deutschland und Europa relevant. Unser Industrieprojekt zeigt, dass die spanischen Gestehungskosten für Strom und grünen Wasserstoff weltweit kompetitiv sind.[6] Aufgrund der geringen Bevölkerungsdichte und der großen Wüstenflächen im spanischen Inland sowie der hohen Volllaststunden könnte Spanien beachtliche Volumina produzieren. Wenn Europa vermehrt Wert auf Energieautonomie legen möchte, wäre es sinnvoll, dieses Potenzial abzurufen, auch durch eine bessere Integration der Energieinfrastruktur (siehe Fußnote 6).

Der Kohleausstieg wird auf kluge Weise abgefedert

Zur Energiewende gehört neben dem Ausbau der Erneuerbaren auch der Ausstieg aus der fossilen Stromerzeugung, mit Abfederung der sozialen Härten. Während die von der Bundesregierung freigegebenen Fördermengen trotz vorgezogenem Kohleausstiegsdatum das 1,5 °C-Budget des Sektors reißen, konnte Spanien in den letzten fünf Jahren seinen Kohlestromanteil von 14% auf 1,4% reduzieren, und soll bis 2025 komplett kohlefrei sei.

Gleichzeitig gestaltet Spanien den Strukturwandel proaktiv. Das „Instituto de la Transformación Justa“ (ITJ) betreut die Regionen, die von Minen- und Kraftwerkschließungen betroffen sind. Dabei gehen sie, wie wir finden, sehr intelligent vor:

Abbildung 2

Kohlekraftwerke sind in Spanien aufgrund des CO2-Preises sowie wegen Umweltauflagen, die teure Umrüstungen erfordern, größtenteils unrentabel geworden. Im Rahmen des Schließungsantrags, den Betreiber stellen müssen, wenn sie Anlagen schließen möchten, verpflichtet die ITJ den Kraftwerksbetreiber, für Arbeitsplätze sowie die kulturelle, ökonomische und ökologische Entwicklung der Region zu sorgen. Dafür schließen sie sogenannte „Just Transition Agreements“ ab, bei denen auch die Gewerkschaften, lokale Arbeitgeber und die Lokalpolitik involviert werden.

Außerdem kann die ITJ den freigewordenen Netzanschlusspunkt neu vergeben, zum Beispiel an erneuerbare Stromproduzenten. Dies geschieht nicht in einer klassischen Versteigerung. Stattdessen stellen die Kandidaten gesamtökonomische Investitionspläne für die Region vor, die nach einem festgelegten Punkteverfahren nach ESG-Kriterien bewertet werden. Diese auf sozial-ökologische Nachhaltigkeit ausgerichtete Form der Zuschlagsverteilung ist weltweit einmalig. Zum ersten Mal fand sie 2022 in Teruel statt, die nächste Runde soll dieses Jahr in Cordoba sein.

Das ITJ betont, dass die geschaffenen Arbeitsplätze eine hohe Qualität haben sollen. In Teruel hatten sie damit auch Erfolg. Einfach Solar- und Windkraftanlagen zu bauen, wäre nicht zufriedenstellend, weil diese zwar bei Errichtung personalintensiv sind, im laufenden Betrieb aber nur wenig Arbeitskräfte benötigen. Stattdessen wurde mit viel Kreativität für jede Region eine eigene Lösung gebastelt: Von der Windradrecyclinganlage bis zum geologischen Museum ist alles dabei.

Die ITJ bezuschusste die Projekte mit 760 Millionen €.[7] Damit konnten private Investitionen in Höhe von fast 7,9 Milliarden € mobilisiert werden. Ein Viertel aller grünen Wasserstoffprojekte in Spanien findet heute in den vom Kohleausstieg betroffenen Regionen statt.

Dies unterstreicht die Vorzüge einer aktiven Strukturwandelpolitik: Hätte man das Geld einfach pro Kopf an die Betroffenen ausgezahlt, wären sie wahrscheinlich in Scharen abgewandert, was die Landflucht, die sich in Spanien zuletzt zu einem Politikum entwickelt hat, noch verschlimmert hätte.

Unter anderem durch ihren Fokus auf regionale Entwicklung anstatt von individueller Kompensation waren diese Projekte politisch sehr erfolgreich. Eine Untersuchung konnte mit einer Differenzen-in-Differenzen-Methode zeigen, dass sie in der Tat das Abdriften der Wahlkreise nach Rechtsaußen verhinderten.

Eine politisch resiliente Energiewende

Abschließend lässt sich festhalten: Trotz der rasch voranschreitenden Wende im spanischen Stromsektor wurde die Klimapolitik im jetzigen Wahlkampf nicht von den rechten Parteien instrumentalisiert. Es finden sich zwar Zitate, wo VOX und Einzelne in der PP den menschengemachten Klimawandel leugnen, sie nutzen es aber nicht zur allgemeinen Wahlkampfmobilisierung. In drei TV-Debatten wurde nur ein einziges Mal über Klima- und Energiepolitik gesprochen. Lediglich die Vertreibung der Landwirte im ländlichen Raum wurde gelegentlich polemisiert.

Die einzige wesentliche inhaltliche Differenz zwischen der rechten Volkspartei PP und Sánchez‘ PSOE in diesem Bereich scheint der Atomausstieg zu sein. Politisch wirkt die spanische Energiewende also resilient: Auch im Falle eines Regierungswechsels sollten die politischen Rahmenbedingungen halten. Solange die Strompreise und die Strompreiserwartungen nicht zu schnell fallen — denn der jetzige Solarboom wird von Privatinvestitionen und PPAs getrieben — bleiben wir also zuversichtlich.

Unsere Leseempfehlungen: Das könnt Ihr Euch an den Strand mitnehmen, wenn Ihr mehr über spanische Politik verstehen wollt.

  • Im englischsprachigen „Sobremesa Podcast“ ist der Analyst Iago Moreno zu Gast und beschreibt das Schlachtfeld im Wahlkampf. Spannend!
  • Sergio de Molinos‘ Buch „Leeres Spanien“, über die massive Entvölkerung im ländlichen Raum und die Zurückgelassenen. Diese Buchbesprechung beim Deutschlandfunk lohnt sich auch.
  • Das (englische) Strategiepapier der ITJ, wie beeinträchtigte Regionen von der Energiewende unterstützt werden. Sehr gut lesbar und inspirierend.

Fußnoten

[1] Solaranlagen haben sehr hohe Investitionskosten am Anfang, da die Installation arbeitsintensiv ist und PV-Panels gerade in den Nullerjahren noch sehr teuer waren. Im laufenden Betrieb sinken die Kosten deutlich ab. Deswegen schmerzt eine frühzeitig beendete Subvention — 2010 wurden die versprochenen Tarife nachträglich halbiert, 2013 dann der Zugang zu Neuförderungen für neue Anlagen gestoppt — besonders.

[2] Die große Komponente der Wasserkraft hat eine unveränderte Kapazität, produzierte aufgrund größerer Trockenheit etwas weniger Strom.

[3] Man sollte hier einschränkend erwähnen, dass die Elektrifizierung in Spanien nicht sonderlich weit fortgeschritten ist. Die Industrie sowie der Bausektor sind noch auf fossile Brennstoffe angewiesen. Der Umstieg auf E-Mobilität ist noch am Anfang. Außerdem ist der starke Tourismussektor sehr CO2-intensiv, zumal eng mit dem Flugverkehr verknüpft. Anders als in Deutschland spielt das Heizen in Spanien wegen milder Winter hingegen nur eine untergeordnete Rolle.

[4] Laut der IEA sind diese in den 2010er-Jahren um etwa 80% gefallen.

[5] Der Strompreis bildet sich nach dem Merit-Order-Prinzip, sodass der Preis vom marginalen Energieproduktionsprozess abhängt. Das ist meistens Erdgas. Die Gaspreise stiegen bereits vor dem Ukrainekrieg an, und Sánchez‘ Regierung probierte bereits Anfang 2021 dagegen vorzugehen. Dies wurde zuerst von der EU-Kommission unterbunden, nach Kriegsanfang gestattet man Sánchez aber mit der „Excepción Ibérica“ eine Form der Gaspreisbremse durchzusetzen – monatelang bevor die deutsche Gaskommission überhaupt zusammengestellt wurde. Damit gelang es Spanien, die Inflation dieses Jahr auf 1,6% runterzudrücken, so tief wie kein anderes europäisches Land. Die Form der Gaspreisbremse senkte zwar ein wenig die Produzentenrente für Erneuerbare, aber nicht signifikant genug, um den Boom zu stoppen. Langfristig möchte Sánchez es ermöglichen, dass die niedrigen Gestehungskosten für Strom an die Abnehmer weitergegeben werden können. Deswegen setzt er sich für eine Strommarktreform auf EU-Ebene ein.

[6] Eine große Einschränkung gilt dabei: Die Speichermöglichkeiten für grünen Wasserstoff sind in Spanien stark begrenzt, weil entsprechende geologische Kavernen noch nicht erschlossen sind, anders als in Deutschland. Deswegen sollte Spanien besser an den Rest Europas angebunden werden. Eine Unterseepipeline zwischen Barcelona und Marseille ist zurzeit geplant.

[7] Dies wurde nicht mit EU-Fördergeldern finanziert. Die NextGeneration-Töpfe werden erst ab 2023 implementiert.


Medien- und Veranstaltungsbericht 20.07.2023

  • Medienerwähnungen und Auftritte
    • Am 05.07.23 wurde der Geldbrief von Janek und Philippa zum Industriestrompreis bei euractiv
    • Am 17.07.23 hat Max Krahé bei der Friedrich-Ebert-Stiftung im Rahmen eines Seminar für Stipendiat:innen des IPS Programms einen Vortrag zum Thema Klimademokratie gehalten.
    • Am 18.07.23 hat der Vorwärts einen Artikel mit Vorschlägen von Philippa und Lars Klingbeil für eine bessere Verteilungsgerechtigkeit veröffentlicht.

Der Geldbrief ist unser Newsletter zu aktuellen Fragen der Wirtschafts- Fiskal- und Geldpolitik. Über Feedback und Anregungen freuen wir uns. Zusendung an axel.koelschbach[at]dezernatzukunft.org


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